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Annika Jarosch

Liebesgeheul




Liebesgeheul


Klingt schmalzig, ist es aber nicht. Oder vielleicht doch?


Die junge, streunende, struppige Wölfin wandelt orientierungslos durch die Steppe und dann hört sie den Ruf der weisen Wölfin aus dem Wald. Sie verlässt die trockene Steppe und wagt sich in den dunklen, dunklen, dunklen Wald voller Leben. Die Erde ist dort nahrhaft, lebendig, frisch, auch hart und steinig und an manchen Stellen locker, offen, schlammig. Voller Leben, voller erhellendem Leben, aber auch Düsternis und Bitterkeit, Finsternis. Die junge Wölfin wagt sich immer tiefer in den Wald hinein. Bis sie sie vernimmt die alte, weise Wölfin, am Boden auf der schwarzen Erde. Sie liegt am Boden unter ihrem Seelenbaum ein paar Meter vor ihrer Höhle. Sie liegt da, ganz wehrlos, offen, ihr Bauch ist offen. Eine offene Wunde, viele Narben zieren ihren Körper. Ihre Augen halboffen, Glitzer in ihren Augen, ein Schimmer von dem Nektar des Lebens, und gleichzeitig eine tiefe Traurigkeit und die diese Taubheit durch den Schmerz der immer da ist, durch die vielen Wunden. Auch wenn nicht alle offen sind. Sie liegt da, ganz offen und verletzlich und gibt sich ab an die Erde. Und dann kommt die junge Wölfin und sieht sie so liegen. Sie stellt sich vor die weise Wölfin. Wacklig auf ihren Beinen und merkt, wie sie ruhiger wird und geerdeter. Beim Anblick der weisen, alten Wölfin. Sie lernt so viel durch das Schimmern in ihren Augen, durch den Mut ihre Wunden zu zeigen. Die, die gerade frisch aufgerissen ist und auch jene, die vernarbt sind, vermeintlich heil, auch sie zeigt sie. Und hinter all dem liegt so ein Frieden, ein Frieden mit dem Leben und der Grausamkeit des Lebens. Und der Akzeptanz, wie okay es ist, nicht immer gut zu sein, wie okay es ist, nicht die Welt retten zu müssen, wie okay es ist einfach dazuliegen in der eigenen Verletzlichkeit und Verwundbarkeit. Sodann bricht die kleine, junge Wölfin zusammen. Unter der ganzen Last, die sie auf ihrem Rücken getragen hat. Sie bricht zusammen, die Beine geben nach und sie landet mit ihrem ganzen Körper auf der Erde, auf der warmen pulsierenden Erde. Sie lässt los unter dem Gewicht, das sie die ganze Zeit getragen hat. Ein Bein bricht. Eine Rippe bricht. Sie bricht auf. Und bevor sie in ein Schmerzkoma fällt, blickt sie in die halboffenen Augen der weisen Wölfin, sieht diesen Schimmer ganz klar vor sich, und dann regt sich ihr Mund zu einem ganz zarten Lächeln, und sie erkennt, dass es okay ist, jetzt gerade am Boden zu liegen und dass die Last die kleine Wölfin auf den Boden drückt, die last der Schuld, die sie sich aufgestapelt hat, die Last der Lügen und des Weltschmerzes, das durch sie transformiert werden möchte, und sie blickt in die Augen der weisen Wölfin und erkennt sich wieder, bevor sie ihre Augen schließt und ihren Heilungsschlaf beginnt.

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